Auf dem deutschen Entsorgungsmarkt erbringen immer mehr Kommunen die Leistungen zur Sammlung und dem Transport von Abfällen in Eigenregie. Eine aktuelle Studie der European School of Management and Technology (ESMT) sieht sogar Hinweise auf eine „Rekommunalisierungsspirale“ im Entsorgungsbereich. So würden bereits vollzogene Kommunalisierungen die Anreize zur Eigenerbringung bei anderen Kommunen verstärken. In der vom Entsorgungskonzern Remondis in Auftrag gegebenen Untersuchung machen die Berliner Ökonomen auch die zunehmende Konzentration auf Seiten der privaten Entsorger für die verstärkten Rekommunalisierungstendenzen verantwortlich.

Zur Lösung der Problematik schlagen sie aber dennoch vor, bei möglichen kartell- und wettbewerbrechtlichen Prüfungen von Übernahmen, höhere Marktanteile als üblich zuzulassen. Dies könnte zweckmäßig sein, wenn Gemeinden die „Drohung“ zu rekommunalisieren nutzen, um private Anbieter zu disziplinieren, heißt es in der Studie. Der Reaktion der Kommunen auf eine sinkende Zahl privater Bieter soll also mit einer weiteren Stärkung der Marktmacht von Großkonzernen begegnet werden.

Aus Sicht der ESMT-Experten berücksichtigen wettbewerbsökonomische Analysen die stärkere wirtschaftliche Rolle der Kommunen und das mögliche Drohpotenzial von Rekommunalisierungen bisher nur unzureichend. So habe das Bundeskartellamt in vergangenen Fusionskontrollverfahren häufig lokale Ausschreibungsmärkte, in der Regel im Umkreis von 100 Kilometer um die betroffene Gemeinde, definiert.

Kommunen mit Eigenerstellung gelten hierbei aber nicht als Teil des lokalen Marktes, so dass sich die Marktanteile nur auf Kommunen beziehen, in denen es Ausschreibungen gab. Der von der kommunalen Leistungserstellung ausgehende Wettbewerbsdruck bleibe somit aber unbeachtet. Daher fordern die Autoren den Anteil der Kommunen entweder bei der Berechnung von Marktanteilen oder bei der anschließenden wettewerblichen Beurteilung zu berücksichtigen.

Kommunen können auf unterschiedliche Weise Druck ausüben

In der Studie werden verschiedene Möglichkeiten genannt, mit denen die Kommunen das Bieterverhalten privater Entsorger mit der Drohung auf Eigenerstellung beeinflussen kann. So könnten die Gemeinde abhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen implizit oder explizit Höchstpreise für die Ausschreibung festlegen, die sich an den Kosten der Eigenerstellung orientieren. Somit tritt die Kommune als indirekter Bieter bei ihrer eigenen Ausschreibung an. Gibt es keine Anbieter, die bereit sind unterhalb des festgelegten Höchstpreises zu bieten, kommt keiner der privaten Anbieter zum Zug.

Darüber hinaus gehe auch von den Nachbargemeinden mit Eigenvergabe ein wettbewerblicher Druck aus, da diese potentiell in den Markt eintreten können, entweder durch die explizite Teilnahme am Bieterwettbewerb oder durch das Angebot, in Zukunft gemeinsam die Entsorgung innerhalb eines Zweckverbandes zu organisieren.

Auch im Falle auslaufender Verträge und den dann anstehenden Verhandlungen über mögliche Verlängerungen könnten die Kommunen ihr Drohpotenzial ausspielen. Aufgrund von Investitionen, welche der private Anbieter bereits getätigt hat, könnten die Gemeinden den Wert der Fortsetzung der Beziehung für den privaten Anbieter einschätzen und entsprechend agieren. Gegenüber den privaten Anbietern verfügten die Kommunen mit der Eigenerstellung also immer über eine Alternative, die den Handlungsspielraum der privaten Konkurrenz einschränken kann, heißt es in der Studie weiter.

Test zur Prüfung des kommunalen Wettbewerbsdrucks

Um den von der kommunalen Leistungserbringungen ausgehenden Wettbewerbsdruck im konkreten Fall zu prüfen, schlagen die Ökonomen einen Test vor. Dabei sollten in erster Linie die rechtlichen und faktischen Möglichkeiten der betreffenden Kommune zur Eigenerbringung von abfallwirtschaftlichen Leistungen hinterfragt werden. In rechtlicher Hinsicht geht es dabei vor allem um die Ausgestaltung laufender sowie künftiger Entsorgungsverträge. Aber auch faktische Gegebenheiten wie die Verfügbarkeit möglicher Betriebsstandorte und personeller Kapazitäten sowie das Vorhandensein kommunaler Betriebe in benachbarten Regionen sollten in die Betrachtung einfließen.

Neben den rechtlichen und faktischen Möglichkeiten sollte aber auch geprüft werden, welche Anreize für eine Rekommunalisierung im konkreten Fall bestehen. Dabei sollten Aspekte wie die Bevölkerungsstruktur, mögliche Effekte auf die Beschäftigtenzahlen sowie fiskalische Anreize berücksichtigt werden.

Tendenz zur Rekommunalisierung mit verschiedenen Ursachen

Auf Basis der in den Jahren 2003 bis 2015 vollzogenen Rekommunalisierungen sind die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung der Frage nachgegangen, welche Gründe die Entscheidung zur Eigenerbringung beeinflusst haben könnten. Neben der hohen Marktkonzentration privater Anbieter sowie der Zahl benachbarter Kommunen, die abfallwirtschaftlichen Leistungen im Eigenbetrieb erbringen, wirkt der Stimmenanteil linker Parteien – hierunter zählen die Autoren die SPD, die Grünen und die Linken – positiv auf Rekommunalisierungsbestrebungen. Aber auch hohe Arbeitslosenzahlen machen die Eigenerbringung wahrscheinlicher. Außerdem neigen Gemeinden mit niedrigeren Steuereinnahmen eher zu einer Rekommunalisierung.

Anders als von den Ökonomen erwartet, lassen sich die Rekommunalisierungen in den Jahren 2003 bis 2015 aber nicht mit Größenvorteilen erklären. Kommunen mit mehr Einwohnern neigten also nicht stärker zur Eigenerbringung als kleineren Gemeinden. Bei der Analyse der Bevölkerungsdichte ergab sich hingegen ein gemischtes Bild. Während zwischen 2003 und 2009 vor allem Gemeinden mit einer eher hohen Bevölkerungsdichte die Abfallleistungen rekommunalisiert haben, waren es danach eher die dünner besiedelten Gebiete.

Diese Beobachtung deckt sich auch mit dem Blick auf die Entwicklung der Rekommunalisierungen in den einzelnen Bundesländern. So haben sich bis 2009 vor allem Kommunen aus den westdeutschen Flächenstaaten wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen für die Eigenerbringung entschieden. Die schwächer besiedelten ostdeutschen Bundesländer zogen erst später nach. Ausnahmen stellen Thüringen und Brandenburg dar, wo im gesamten Betrachtungszeitraum von 2003 bis 2015 der Anteil der Eigenerbringungen zulegte.

Im bundesdeutschen Durchschnitt lag der Anteil der kommunalen Eigenbetriebe in der Restmüllsammlung 2003 nur bei 36 Prozent. Bis zum letzten Jahr stieg dieser Anteil kontinuierlich auf fast 46 Prozent an. Eine grundsätzliche Trendumkehr in der Rekommunalisierung sei dabei nicht erkennbar, zwischen 2009 und 2015 habe lediglich die Dynamik etwas nachgelassen, heißt es.

Den höchsten Wert unter allen Bundesländern weist die Studie für das letzte Jahr mit rund 70 Prozent für Sachsen-Anhalt aus – 2003 lag der Wert noch bei unter 50 Prozent. Mit einem Anteil von knapp 20 Prozent fiel die Eigenerbringung von abfallwirtschaftlichen Leistungen durch die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern am schwächsten aus. Im Nordosten gibt es jedoch auch überdurchschnittlich viele öffentlich-private Partnerschaften im Entsorgungsbereich, heißt es. Rechne man diese PPP zu den kommunalen Eigenbetrieben hinzu, erreiche Mecklenburg-Vorpommern auch einen Wert von fast 40 Prozent.

Eine Trendumkehr können die Berliner Ökonomen nicht erkennen. Vielmehr bestehe im Gegenteil sogar die Möglichkeit einer sich selbst verstärkenden „Rekommunalisierungsspirale“. Der Trend zur Rekommunalisierung führe zu einer Reduktion der Anzahl der privaten Anbieter im Entsorgungsbereich. Außerdem erschwert er es kleineren Anbietern, an künftigen Ausschreibungen teilzunehmen, da Kommunen häufig Referenzprojekte als Teilnahmevoraussetzung verlangen. Deshalb sehen sich Nachbargemeinden nach einer erfolgten Rekommunalisierung häufig einer noch stärker konzentrierten Anbieterstruktur gegenüber.

Laut der empirischen Untersuchungen reagieren umliegende Gemeinden darauf, indem sie selber stärker auf die Eigenerstellung setzen. Eine Rekommunalisierung kann somit unter Umständen eine sich selbst verstärkende „Rekommunalisierungsspirale“ auslösen, so dass sich im Extremfall nur noch kommunale Eigenbetriebe auf der einen Seite und eine geringe Anzahl national vertretener Entsorgungsunternehmen auf der anderen Seite gegenüberstehen.

Download: Studie

(Quelle: EUWID Recycling und Entsorgung; Ausgabe 15.2016 v. 12.04.2016)