Die Auswirkungen der Corona-Krise sorgen auch auf vielen Baustellen für Verzögerungen. Können vertraglich vereinbarte Leistungen nicht erbracht werden, müssen Bauunternehmer eine sogenannte Behinderungsanzeige stellen.
Wie genau das funktioniert und was dabei zu beachten ist, erklärt Rechtsexperte Phillipp Scharfenberg.

Die Corona-Krise hinterlässt auf vielen Baustellen ihre Spuren, wie eine verbandsinterne Umfrage des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) zeigt: Dieser berichtete im April 2020, dass 80 Prozent der Baufirmen Störungen in den Abläufen registrieren. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen berichtet von Lieferengpässen (43 Prozent), aber auch Einschränkungen auf der Auftraggeberseite führten häufig zu Behinderungen im Ablauf (43 Prozent).

Wenn eine Baufirma die im Vertrag vereinbarten Leistungen nicht erbringen kann, reicht eine einfache Mitteilung jedoch nicht aus: Es besteht eine Hinweispflicht. Konkret müssen sich Bauunternehmer mit einer sogenannten Behinderungsanzeige an den Bauherrn wenden.

Wie definiert das Gesetz eine Behinderung auf der Baustelle?

„Behinderungen werden allgemein als unerwartete Störungen des Bauablaufes definiert“, erklärt Philipp Scharfenberg, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei Melchers Rechtsanwälte. Was im Fall einer Behinderung auf dem Bau zutun ist, steht im §6 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistung – Teil B (VOB/B) beschrieben. Demnach gilt es zu unterscheiden in

  • vom Auftragnehmer verursachte Behinderungen,
  • Behinderungen aus der Risikosphäre des Auftraggebers sowie
  • von keiner bzw. beiden Parteien verantworteten Behinderungen.

Was sind die rechtlichen Folgen einer Behinderung?

Welche Folgen eine Behinderung hat, ist abhängig davon, wer die Behinderung verursacht hat bzw. in wessen Risikobereich sie fällt. Fallen die Gründe in den Risikobereich des Auftraggebers, hat der Auftragnehmer Anspruch auf entsprechende Verlängerung der Ausführungsfristen (beispielsweise nach § 6 Abs. 2, 4 VOB/B). „Zudem ist es dann auch im Einzelfall möglich, dass der Auftragnehmer zusätzlich einen Anspruch auf Entschädigung – insbesondere der Vorhaltekosten für die Dauer der Behinderung – und im Falle des Verschuldens des Auftraggebers auch Schadensersatz verlangen kann“, so Scharfenberg.

Beruht die Behinderung auf Verschulden des Auftragnehmers, z.B. aufgrund der zu späten Beschaffung von Baumaterial oder falscher bzw. unzureichender Infektionsschutzmaßnahmen, kann der Auftragnehmer keine Verlängerung der Ausführungsfristen verlangen: „Kann er die vereinbarten Vertragsfristen dann nicht einhalten, kommt er in Verzug, sodass dann gegebenenfalls Schadensersatz oder eine Vertragsstrafe wegen Verzug drohen“, erklärt der Rechtsexperte.

Welche Gründe sind für eine Behinderung zulässig?

Die nicht rechtzeitige Vorlage von Plänen durch den Auftraggeber oder nicht absehbares schlechtes Wetter, das es unmöglich macht, auf der Baustelle weiterzuarbeiten, können laut Scharfenberg anerkannte Gründe für eine Behinderung darstellen. Auch nicht rechtzeitig abgeschlossene Vorarbeiten durch andere Handwerker, die Verzögerungen auf der Baustelle verursachen, seien als Grund zulässig.

Die Corona-Krise kann zudem spezielle Folgen nach sich ziehen, die die Arbeit auf der Baustelle verzögern können. Dazu zählen:

  • Die Verhängung von Quarantänemaßnahmen für einzelne Personen oder im schlechtesten Fall die Schließung der Baustelle bzw. der ganzen Firma,
  • Personalengpässe, beispielsweise bei Einschaltung ausländischer Subunternehmer,
  • Materialengpässe aufgrund erfolgter Grenzschließungen,
  • Störungen und Verlangsamung infolge der Einhaltung von Schutzvorkehrungen, beispielsweise bei Personaleinsatz auf engen Raum, sowie
  • die nicht rechtzeitige Vorlage von Plänen durch den Auftraggeber bzw. nicht rechtzeitige Vorleistungen und Entscheidungen des Auftraggebers.

Wann sollte die Behinderungsanzeige verfasst werden?

Die Behinderung ist dem Rechtsexperten zufolge schriftlich an den Auftraggeber anzuzeigen – am besten per Post und handschriftlich unterschrieben. Eine mündliche Anzeige sei nicht empfehlenswert. Die Behinderungsanzeige sollte zudem unverzüglich verfasst werden. Das bedeutet, sie sollte nicht erst bei Eintreten der Behinderung aufgesetzt werden, sondern, wenn sich die Umstände für eine Verzögerung verdichten. „Meldet der Handwerker die Behinderung nicht unverzüglich, kann es unter Umständen dazu kommen, dass er Schäden, die in der Zwischenzeit entstehen, ersetzen muss“, so Rechtsanwalt Scharfenberg.

Was muss eine Behinderungsanzeige enthalten?

„Die Behinderungsanzeige muss alle Umstände nennen, aus denen sich für den Auftraggeber mit hinreichender Klarheit die Gründe der Behinderung ergeben. Sie muss konkret und detailliert beschrieben sein“, erklärt Scharfenberg. Eine Behinderungsanzeige sollte unter anderem folgende Punkte enthalten:

  • eine Beschreibung des aktuellen Baustands,
  • eine konkrete Beschreibung der Leistungen, die behindert werden sowie
  • eine konkrete Begründung, warum diese Leistungen behindert werden.

Nicht zwingend enthalten sein müssen jedoch die Folgen der Behinderung und die hierdurch konkret entstehenden Kosten. Allerdings: „Wenn wesentliche Schäden und Mehrkosten durch die Behinderung absehbar sind, muss die Behinderungsanzeige auf die schwerwiegenden Folgen hinweisen und hierzu Ausführungen enthalten. Im Übrigen sollten Bauunternehmer die Behinderungsanzeige grundsätzlich stets an den Auftraggeber senden und nicht nur an den Architekten beziehungsweise Objektüberwacher.“ Fachanwalt Scharfenberg empfiehlt Handwerkern sicherheitshalber und zusätzlich zur Behinderungsanzeige, Belege und Nachweise für die Behinderung zu sammeln – zum Beispiel in Form von Lichtbildern oder Einträgen in ein Bautagebuch.

Die Behinderungsanzeige ist gestellt: Was passiert nun?

Nach § 6 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer alles zu tun, um die Weiterführung der Arbeit zu ermöglichen. Nach überwiegender Auffassung gehören hierzu aber keine Beschleunigungsmaßnahmen, es sei denn, dies wird vereinbart, so Rechtsanwalt Scharfenberg: „Wenn der Auftragnehmer letztlich aber selbst für die Behinderung verantwortlich sein sollte, ist es jedoch gegebenenfalls in seinem Interesse, die Behinderung so schnell wie möglich wieder einzuholen und daher von sich aus zu beschleunigen, um Verzugsschäden hiermit zu minimieren bzw. zu verhindern.“  Sobald die hindernden Umstände weggefallen sind, hat der Auftragnehmer nach § 6 Abs. 3 VOB/B ohne Weiteres und unverzüglich die Arbeiten wieder aufzunehmen und den Auftraggeber davon zu unterrichten. Mit Inhalten von dpa